PROLOG
Ich liege an einem warmen Sommerabend unter einem Apfelbaum im Gras und beobachte meinen kleinen Sohn Borm dabei, wie er jauchzend über die Wiese tanzt. Ein kleiner Marienkäfer landet auf seiner Handfläche. Fröhlich dreht er sich zu mir um und präsentiert mir stolz das kleine Insekt, welches mit schnellen Schritten über seine Finger trippelt. Doch ich habe nur Augen für sein fröhliches breites Grinsen, das durch die abendlichen Sonnenstrahlen in die Farben des Phönix getaucht wird und es erstrahlen lässt. Ein Moment des Glücks, eine verblassende Erinnerung. Seitdem ich denken kann, haben wir den Phönix gepriesen und er hat uns stets Wärme, Licht und Geborgenheit gespendet. Seit jeher lebten wir in Wohlstand, Frieden und Glück. Doch dies sind alles Erinnerungen aus einer besseren Zeit.

Alles begann damit, dass ein schäbiger Reisender vom Clan der Korallen in unser Dorf kam und von einer gigantischen Wassermasse berichtete, welche sein gesamtes Dorf verschluckte und alles zerstörte. Doch der Phönix brannte hell am Himmel an jenem Tag und keiner von uns schenkte den düsteren Hirngespinsten dieses Verrückten Beachtung. Wenige Wochen später erreichten uns Gerüchte über eine große Hitzewelle, welche weit im Süden das Korn auf den Feldern vertrocknen ließ. Doch keine Geschichte der Alten erwähnte, dass das Korn auf den Feldern jemals vertrocknet war und so verlor ich auch dieses Mal keinen dunklen Gedanken. Erst an jenem Tag …

Es war ein wunderschöner Morgen und der Phönix brannte hell am wolkenlosen Himmel. Es war der achte Namenstag meines Sohnes und wir planten, am Abend ein großes Fest zu feiern. Denn schließlich würde mit diesem Tag seine Aschezeit beginnen, jene Zeit, in der ein Kind in die Riten und Gebräuche seines Clans eingeführt wurde und danach als vollwertiges Mitglied des Clans galt. Ich war früh in den Wald gegangen, um frische Steinpilze für das Abendessen zu sammeln, denn ich wusste, dass Borm diese ganz besonders gern aß, und ich wollte ihm eine Freude machen an diesem besonderen Tag. Doch an jenem Tag …

Als erstes sah ich die riesige Rauchsäule, welche aus der Richtung meines Dorfes über den Bäumen in den Himmel stieg. Sie war keineswegs vergleichbar mit den dünnen Rauchwölkchen, welche normalerweise von den kleinen Feuern der Kochstellen und Öfen stammen. Vielmehr war sie mit einer dunklen Bedrohung zu vergleichen, die alles Licht zu verschlucken schien. Meine Augen starrten, von der rauschenden Dunkelheit gefesselt, in den Himmel und ich war unfähig, mich zu bewegen. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis mein Kopf die Bilder verarbeitet hatte, und mir langsam das Ausmaß der Bedrohung bewusst wurde. Eine schaurige Kälte erfasste mich, mein Bauch krampfte sich zusammen und mein Herz begann zu rasen. Endlich hatte ich den ersten Schock überwunden und sprintete los. Je schneller ich mich unserem Dorf nährte, desto beißender wurde auch der Geruch nach Rauch und verbranntem Fichtenholz. Jedoch mischten sich darunter auch neue unbekannte Gerüche und ein komisch süßlicher Gestank lag in der Luft. Dann hörte ich die Schreie …

Ich beerdigte meinen Sohn am nächsten Morgen zusammen mit den anderen Toten. Bis auf die rituellen Totengebete sprach keiner der Überlebenden ein Wort. Eine unheimliche Stille. Jedem Einzelnen stand der Schock über die Zerstörung und die Trauer über den Verlust von Freunden und Familie ins Gesicht geschrieben. Was geschehen war, konnte keiner von uns gänzlich begreifen.

Ich sehe sein Gesicht noch so klar vor mir. Es wird kein Tag vergehen, an dem ich nicht an die kostbare Zeit denken werde, die wir zusammen erlebt haben - hätten erleben können. Auch wenn ich weiß, dass mein Sohn sich nun im Reich des Phönix befindet und dort auf meine Ankunft wartet, so ist der Schmerz in meinem Herzen kaum zu ertragen. Was würde ich nicht alles dafür geben, ihn nur noch ein einziges Mal in meinen Armen zu halten, ihn fest an mich zu drücken und nie mehr loszulassen.

DIE WELT